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Natur zum Anfassen – der Dorfanger in Kirchanschöring

Der "Lapperanger" im Herbst. (Foto: Landschaftspflegeverband Traunstein)
Der "Lapperanger" im Herbst. (Foto: Landschaftspflegeverband Traunstein)
© Landschaftspflegeverband Traunstein
Sortenvielfalt ist Artenvielfalt
„Etwa 51 Bäume aller Altersklassen wachsen auf dem „Lapperanger“, erzählt Jürgen Sandner, der Geschäftsführer des LPV Traunstein, „Totholz als Lebensraum für Insekten und Fledermäuse bleibt bewusst liegen. Neben den vielen Apfelbäumen sind es Birnen-, Zwetschgen- und Walnussbäume, die dort die Sorten-Vielfalt ausmachen.“ Er erwähnt deshalb das 2015 von der Regierung von Oberbayern initiierte und seit 2019 vom Bayerischen Naturschutzfond und Bezirk Oberbayern geförderte Biodiversitäts-Projekt „Alte Obstsorten in den oberbayerischen Voralpenlandkreisen“. In diesem werden seltene Apfel- und Birnensorten gesucht, die in Sorten- und Schaugärten gesichert und vorgestellt werden sollen. Mittels genetischer Analyse und der Bestimmung durch Pomologen werden sie bekannten Sorten zugeordnet oder als neue erkannt und in dem Falle weiter für die Zukunft bewahrt.

„A Zuagroaster“
Ein Sämling des Sonnenwirtsapfels, einer Streuobstsorte von 1937 aus Backnang in Baden-Württemberg, hat sich den „Lapperanger“ als Wohnstätte ausgesucht und ist damit in dieser Gegend eine Rarität. Die Sorte ist gegen Krankheiten besonders widerstandsfähig und wächst gut in höheren Lagen. Der Sonnenwirtsapfel kann bis ins Frühjahr gelagert werden und wird zum Kochen, Backen und für die Mostgewinnung eingesetzt.

Alles Bio!
Seit 2018 ist der „Lapperanger“ über den LPV Traunstein biozertifiziert und somit geeignet, seine Ernte einem ebenfalls biozertifizierten Verarbeitungsbetrieb zu liefern, dessen Erzeugnisse das Bio-Siegel tragen dürfen. Um diese wertvolle Zertifizierung zu bekommen, dürfen die Bäume während der vergangenen Jahre weder mit chemischen Spritzmitteln noch mit mineralischem Dünger oder Gülle in Kontakt gekommen sein.

Auf die richtige Pflege kommt es an
Wie der Dorfanger im Jahresverlauf vom LPV, der dabei mit einem örtlichen Landwirt zusammenarbeitet, gepflegt wird, erläutert Jürgen Sandner: Zweimal im Jahr wird die Wiese unter den Bäumen gemäht, im Juni vor dem „Festival im Grünen“ und im Herbst, wenn einzelne Brachstrukturen schon mal stehen bleiben. Damit die Nährstoffe knapp bleiben, wird das Mähgut immer abtransportiert. So hat sich eine artenreiche, in Teilbereichen sogar trockene und für viele Insekten wie die Wild- und Honigbiene interessante Glatthaferwiese entwickelt. Im westlichen Teil in Richtung des Rathauses wachsen u.a. Hornklee (Lotus corniculatus), Wiesensalbei (Salvia pratensis), Wiesenflockenblume (Centaurea jacea) und Wiesenglockenblume (Campanula patula). Zwischenzeitlich wird hier sogar mit dem E-Beetle des LPV Traunstein regionales Saatgut gewonnen, um dieses wieder auf anderen ausgemagerten Wiesenflächen in der näheren Umgebung auszubringen und die Artenvielfalt anzukurbeln. Damit die Obstbäume nicht hungern müssen, werden sie alle paar Jahre mit Festmist im Kronenbereich versorgt. So bleibt die übrige Wiese mager.

Obstbaumschnitt – eine Wissenschaft für sich
In Absprache mit der Gemeinde Kirchanschöring werden die Bäume vom LPV Traunstein geschnitten. Der Kreisfachberater Markus Breier vom Landratsamt Traunstein unterscheidet hier drei Schnitte. „Beim Erziehungsschnitt junger Bäume wird langfristig eine stabile, gut belichtete und belüftete Krone aufgebaut. Entsprechend gut können die Früchte später geerntet werden. Dann folgt der Erhaltungsschnitt und bei sehr alten Bäumen ein ökologischer Auslichtungsschnitt alle drei bis fünf Jahre. Die Krone wird dadurch nicht zu dicht, die Bruchgefahr bei Sturm und Regen minimiert sich und die Früchte werden größer. Im unteren Kronenbereich wird ggfs. Totholz erhalten, in dem sich Insekten, Höhlenbrüter, Fledermäuse und Bilche wohlfühlen. Dabei müssen örtliche Gegebenheiten und die Verkehrssicherungspflicht beachtetet werden.“ Wenn man selbst Obstbäume anpflanzen möchte, lohnt es sich, an einem Obstbaumschnittkurs teilzunehmen.

Pflegemodell Baumpaten
Die Gemeinde Waging hat für die Pflege ihres Obstangers das Modell der Baumpaten gewählt. Baumpaten sind Personen, die einen oder mehrere Bäume eines Dorfangers pflegen und dafür die Früchte ernten dürfen. Eine schöne Idee, wenn zuhause kein Garten vorhanden ist.

Wühlmäuse - putzige und schädliche Tierchen
Wühlmäuse oder Schermäuse können in einem Obst- oder Gemüsegarten erheblichen Schaden anrichten, wenn man sie lässt. Sie knabbern Wurzeln an und können so einen Baum zum Absterben bringen. Der „Lapperanger“ ist glücklicherweise frei von Wühlmäusen. Gezielte Maßnahmen verhindern das. Wühlmäuse sind als Nahrung für viele Tiere sehr wichtig, zum Beispiel für den Waldkauz (Strix aluco), für den Turmfalken (Falco tinnunculus), für den Mäusebussard (Buteo buteo), für das Hermelin (Mustela erminea), das Mauswiesel (Mustela nivalis) und den Rotfuchs (Vulpes vulpes). Deshalb ist es umso wichtiger, diesen Tieren Unterschlupf in Form von Totholzhäufen oder Ansitzstangen zu bieten und sie auf diese Weise anzulocken, um auf natürliche Weise die Wühlmäuse zu bekämpfen.

Hands on in der Umweltbildung – Mostgewinnung für die Kleinen
Der „Lapperanger“ spielt in der schulischen Umweltbildung eine wichtige Rolle. Der LPV Traunstein bietet Kurse für die Kinder der zweiten Grundschulklasse an, in denen sie lernen, wie Apfelsaft entsteht. Dazu schütteln sie zuerst die Obstbäume, sammeln das gefallene Obst ein, verarbeiten es zu Mus und gewinnen dann mit einem Handkelter frischen Saft. Der Höhepunkt dabei ist die anschließende gemeinsame „Saftprobe“.

Die Feuerwehr als Durstlöscher
Auch die Jugendlichen von Kirchanschöring profitieren vom Obstanger. 2019 brachten die Mitglieder der Jugendgruppe der Freiwilligen Feuerwehr Kirchanschöring e.V. die Obsternte des „Lapperangers“ ein und fuhren diese zur Kelterei Greimel in Laufen. Den so erzielten Erlös durften sie behalten. Ein weiteres gelungenes Beispiel für die vielfältige Nutzung eines Dorfangers.

Obstsorten für den eigenen Garten
Auf dem „Lapperanger“ darf durchaus schon mal eine Frucht gekostet werden. Aber nicht nur der Geschmack ist bei der Auswahl einer Obstsorte entscheidend. Verwendung und Verwertung, Erntezeitpunkt und -dauer, Lagerungsumstände, Standortbedingungen, Krankheitsanfälligkeit, regionales Vorkommen und Verfügbarkeit in den Baumschulen sind wichtige Kriterien, um viel Freude am frisch gepflanzten Bäumchen zu haben. Beratung vor Ort bieten immer auch die Gartenbauvereine und die Kreisfachberater für Gartenkultur an den Landratsämtern. Wer ein Faible für adelige Äpfel und Birnen hat und klangvolle Namen liebt, kommt dabei voll auf seine Kosten: Apfelsorten wie Geflammter Kardinal, Freiherr von Berlepsch, Kaiser Wilhelm, Prinzenapfel, Schöner von Herrnhut und die beiden Birnensorten Kaiserbirne mit dem Eichenblatt und Köstliche von Charneu machen den Einstieg bei den „Royals“ leicht.
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