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Die wilden Äcker vom Isental

Foto: Michael Stadler. Kein Unkraut, sondern wertvolle Ackerwildkräuter auf dem Blühacker in Muttersham.
Foto: Michael Stadler. Kein Unkraut, sondern wertvolle Ackerwildkräuter auf dem Blühacker in Muttersham.
© Land:Belebt
Wild geht es zu auf den Äckern im oberbayerischen Isental. Es blüht dort in allen Farben und zwar mitten im Getreide und darum herum. Das ist kein Zufall, sondern genau das, was sich die Organisatoren des Projekts „Ackerwildkräuter“ erhofft haben. Die bunte Vielfalt kommt gut an bei Wildbienen, Insekten und Vögeln. Und bei den Landwirten. Die interessieren sich zunehmend dafür, die heimischen Kräuter aufs Feld zu bringen.

Die Saat geht auf. Im Landkreis Mühldorf sogar dort, wo sie das jahrzehntelang nicht sollte, nämlich an Ackerrändern und sogar mitten im Getreide. Das hat Gründe, und die liegen bei Rosa Kugler, der umtriebigen Projektmanagerin der Ökomodellregion Isental. 2016 hat sie ein Projekt zur Förderung der Ackerwildkräuter gestartet und gemeinsam mit der TU München eine Auswahl heimischer Wildpflanzen zusammengestellt, die typisch für die Ackerflora der Gegend sind. Diese Idee fällt bei vielen Biobauern und mittlerweile auch bei konventionell wirtschaftenden Betrieben auf fruchtbaren Boden. Denn Ackerwildkräuter bereichern nicht nur optisch die Landschaft, sie sind ein jahrhundertealter Schatz der Vielfalt, der für eine win-win-Situation auf den Feldern sorgt.

Bessere Jobs für Wildbienen
Zwar sind so manche Maisäcker mit Blühmischungen eingerahmt, allerdings bestehen die häufig aus Pflanzenarten, die eher gärtnerisch wertvoll sind, nicht aber für die Insektenwelt in Feld und Flur. „Doch viele Insekten und Wildbienen brauchen genau diese heimischen Ackerwildkräuter als wichtige Nahrungsquelle“, sagt Rosa Kugler. Dafür tun sie dann auf den Feldern ihren Job als Bestäuber, was dort für einen besseren Fruchtansatz sorgt. Auch Feldvögel, wie Wachtel, Rebhuhn oder Feldlerche profitieren. Denn für die stehen wiederum Insekten und Samen der Ackerwildkräuter auf dem Speisezettel. Doch in den letzten fünfzig Jahren sind die heimischen Kräuter um rund ein Viertel zurückgegangen. Grund genug für Rosa Kugler, die wichtigsten Pflanzenarten wieder auf die Felder zu bringen. Für dieses Projekt konnte sie den Landkreis Mühldorf am Inn genauso gewinnen, wie den Bund Naturschutz, die Wildlandstiftung Bayern, den Tagwerk-Förderverein, den Saatgutproduzent Georg Hans und die Gerhard und Ellen Zeidler-Stiftung.

Mehr als eine Randerscheinung
Die erste Fläche in Schwindegg hat ein Bio-Landwirt entlang eines viel genutzten Weges als Ackerrandstreifen ausgesät. Auf drei Metern Breite und hundert Metern Länge entfalten dort die Wildkräuter ihren ganzen Charme so, dass sie nicht nur die Ortsansässigen bezaubern, sondern auch ein konventionell arbeitender Landwirt bei Rosa Kugler nach Saatgut gefragt hat, „weil es ihm einfach so gut gefällt“, sagt sie. Kein Problem, denn zur Aussaat eignen sich sowohl ökologisch bewirtschaftete Flächen als auch die Ränder von konventionellen Äckern – wenn sie nicht mit Herbiziden behandelt werden. Mittlerweile sind weitere Flächen entstanden. In Obertaufkirchen, Muttersham, Rappolten, und Taufkirchen wurden die Wildkräuter sowohl als Ackerrandstreifen als auch flächig im Getreide ausgebracht. Das schafft zugleich bessere Vernetzungsstrukturen zwischen den Biotopen in der Umgebung, es zahlt sich also auch großräumig aus, wenn das Mosaik an Vielfalt-Feldern dichter wird.

Nicht lästig, sondern wertvoll
Ausgesät wird auf dem Acker meist mit dem Wintergetreide, ab Mai beginnen die ersten Wildkräuter dann zu blühen und bunte Teppiche in die Landschaft auszubreiten. Wenn die Kräuter später mit dem Getreide abgeerntet werden, bleiben die Samen auf der Stoppelbrache liegen. Ideal – denn die Wildkräuter treiben noch einmal aus. „Im Spätsommer gibt es dann eine Nachblüte, das ist noch einmal ein toller Blühaspekt und super für Insekten, aber auch für Rebhühner, Schleiereulen, Feldhasen und viele andere Tiere“, sagt Rosa Kugler. Welche Pflanzen eingesät werden, ist individuell auf die Bodenverhältnisse abstimmbar. Bislang sind es neun Arten im Landkreis Mühldorf, darunter der Echte Frauenspiegel, Klatschmohn, Acker-Röte, Acker-Veilchen und Acker-Lichtnelke. „Ackerkratzdisteln sind da nicht dabei, die Pflanzen sollen ja nicht lästig werden“ sagt die Projektmanagerin. Welche Pflanzen sind aber die „richtigen“ für diese Gegend? Dafür gibt es wissenschaftliche Grundlagen. In einer Bachelorarbeit am Lehrstuhl Renaturierungsökologie der TU München wurden die wichtigsten Arten und Vorkommen im Landkreis kartiert und daraus Empfehlungen abgeleitet, welche Wildkräuter sich für die Verbreitung eignen. Der Saatguthersteller Georg Hans hat dann damit begonnen, die wichtigsten zu sammeln und zu vermehren.

Kinder begeistern
Damit die Saat in vielerlei Hinsicht aufgeht, lädt Rosa Kugler Schulen und Kindergärten zu den Aussaatterminen im Herbst ein, „denn man muss bei den Kindern anfangen, die Artenvielfalt zu erklären“ sagt sie. Das ist dann auch mehr als nur ein Schulausflug. Gemeinsam mit der Unteren Naturschutzbehörde am Landratsamt Mühldorf, dem Bund Naturschutz und der Wildlandstiftung hat sie ein pädagogisches Konzept entwickelt, mit dem die Kinder gut vorbereitet auf den Acker kommen und dort ihr Wissen anwenden können. Auch Georg Hans, der Saatguthersteller ist dann vor Ort und sät die Wildkräuter von Hand aus. Wenn die Kinder die Samen dann gemeinsam mit Brettern an den Füßen festdrücken, bleibt ihnen das nicht nur in den Beinen, sondern auch im Gedächtnis. Zur Sicherheit kommen sie zur Blütezeit im Sommer wieder und schauen nach, was aus den Samen geworden ist.

Den Boden bereiten
Damit das Thema Wildkräuter zunehmend präsenter wird im Landkreis, dafür knüpft Rosa Kugler ein dichtes Netz an Projektpartnern, nicht nur aus der Landwirtschaft. Gemeinsam mit den Gartenbauvereinen läuft 2019 ein Wettbewerb für insektenfreundliche Gärten und Balkons. Es gibt einen gemeinsamen Imker-Landwirte-Arbeitskreis und laufend stehen Informationsveranstaltungen, Vorträge, Exkusionen und Workshops auf dem Programm. Es gibt also viele Gründe, warum eine solch breitwürfige Saat auf vielfältigen Boden fällt.

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