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Ein Dorf im Wildkräutermodus

Im Natur- und Kräuterdorf Nagel sind Wildkräuter mehr als eine Nische für den Tourismus

Der Duft- und Schmetterlingsgarten in Nagel
Der Duft- und Schmetterlingsgarten in Nagel
© Ilona Schultheiß
Eine Rodungsinsel im Fichtelgebirge, einst war das eher der Inbegriff von abgelegenen Dörfern. In Nagel sieht man das inzwischen anders. „Hier war fast so etwas wie Niemandsland, aber das war ein Glück“, sagt Erika Bauer, „denn so konnten wir uns Natur pur bewahren. Da wollten wir etwas draus machen.“ Wer ihr zuhört, der spürt, dass es für einen Ort nicht unbedingt von Nachteil sein muss, in der Grenzregion zu Tschechien zu liegen, zumal noch in einer traumhaften Landschaft. Seit 2008 ist die kleine oberfränkische Gemeinde mit ihren 1700 Einwohnern „Natur- und Kräuterdorf“. Den Titel hat sich der Erholungsort nach einer intensiven Analyse seiner Stärken und seines möglichen Alleinstellungsmerkmals gegeben. Erika Bauer war von Anfang an bei diesen Denkprozessen dabei, heute ist sie Kräuterführerin in Nagel. Bei ihr laufen die Fäden zusammen, die Nagel als Kräuterdorf ausmachen.
 
Alles dreht sich um Kräuter
Und was es alles dort gibt: Den Duft- und Schmetterlingsgarten am See, „der ist für die Seele“, findet Erika Bauer. Den Zeit- und Erlebnisgarten, der die Umweltbildung fördert. Das „Haus der Kräuter“, in dem Kurse, Vorträge, Seminare zu Kräuterthemen stattfinden, und in dem auch Kräuter getrocknet werden. Der kleine Laden darin, in dem die Kräuterfrauen ihre feinsten Kräuterprodukte anbieten. Überhaupt ist das Kräuterthema fest in den Traditionen und im Brauchtum des Dorfes verankert. „Wir möchten das Wissen um die verschiedenen Wildkräuter, die bei uns wachsen, weitergeben“, sagt die Kräuterfrau. Das haben sich die neun festen Kräuterführerinnen und all die, die im Natur- und Kräuterdorfverein engagiert sind, auf die Fahnen geschrieben.
 
Einzigartige Habitate
Nagel hat zum Thema Pflanzenvielfalt einiges zu bieten. 23 % der Gemeindefläche sind FFH-Gebiet, das ist einzigartig in Bayern. Seltenheiten wie der Moorfrosch und der Violette Feuerfalter sind hier genauso zu Hause wie die Echte Bärwurz. Die Wildkräutervielfalt, die rund um Nagel wächst, ist aber mehr als ein Alleinstellungsmerkmal, das sich für ein Image nutzen lässt. Vielmehr ist sie der Schlüssel dazu, den Blick der Menschen für die Natur zu schärfen. Dafür, die Kraft zu zeigen, die in Kräutern steckt. Dafür, Vertrauen in Pflanzen zu haben. Dafür, Achtung und Respekt vor dem zu fördern, was einfach wild vor der Haustüre wächst. Und nicht zuletzt dafür, Menschen zu ermöglichen, aus den Naturerfahrungen gestärkt hervorzugehen. 1200 Gäste hat allein Erika Bauer 2019 durch die Kräuterlandschaft Nagels geführt. Ältere und jüngere, Demenzgruppen und Menschen mit Behinderungen, Kindergärten, Schulen und Familien. Unzählige positive Rückmeldungen hat sie bekommen, und die Gäste nehmen dankbar all das Wissen auf, das Erika Bauer und die anderen Kräuterfrauen bewahren und wieder zugänglich machen.
 
Solide Ausbildung im Natur- und Kräuterdorf
Profundes Wissen über die Natur und die Kräuter zu vermitteln ist ein zentrales Anliegen im Ort. Deshalb bildet der Natur- und Kräuterdorfverein eigene Wildkräuterführerinnen und -führer aus. Nur wer die Prüfung erfolgreich ablegt, bekommt das Zertifikat und darf in Nagel Führungen und Kurse anbieten. Die Nachfrage danach steigt, obwohl die Ausbildung ein halbes Jahr lang dauert und fast an jedem Wochenende stattfindet. Doch den Nachwuchs zu fördern liegt Erika Bauer und dem Verein sehr am Herzen. Denn die Kräuterfrauen bieten nicht nur die Führungen und ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm an. Sie kümmern sich auch um die Pflege der Kräutergärten. „Hier kommen wir an unsere Grenzen“, sagt Erika Bauer. Ehrenamtlich ist das kaum mehr zu schaffen, der Verein denkt über die Möglichkeit nach, eine der Kräuterfrauen, die aus dem Gartenbau kommt, stundenweise zu beschäftigen. „Wir müssen uns ja auch weiterentwickeln, brauchen neue Ideen, eine neue Basis“, sagt die engagierte Kräuterfrau. Deshalb setzt sie große Hoffnungen darauf, die Pflege in professionelle Hände geben zu können.
 
Sanfter Tourismus mit Wildkräutern
In die Zukunft schauen und immer wieder neue Ideen entwickeln, auch das ist in Nagel Programm. Erika Bauer freut sich, dass es gelungen ist, einen Landwirt dafür zu gewinnen, Bio-Kräuter für den Verein anzubauen. Daraus sollen neue Produkte in den Wildkräuterküchen der Kräuterfrauen kreiert und im Laden angeboten werden. Auch eine größere Destille aus dem Fichtelgebirge ist daran interessiert, Kräuter aus dem Bio-Anbau abzunehmen. Da ist er wieder, der Standortvorteil einer kleinen Gemeinde, die das Beste aus ihrer Lage in einer intakten Naturlandschaft gemacht hat. Nagel hat seinen großen Schatz, die Vielfalt der Wildkräuter, als Zukunftschance begriffen. Damit fördert der Ort eine Form des sanften Tourismus und investiert in die Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürger. Mit einem Team, das die Idee in einer enormen ehrenamtlichen Leistung zu einem lebendigen, erfolgreichen Projekt gemacht hat. Kräuter scheinen magische Kräfte zu haben.
 

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