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Waldwissen, das ins Herz geht

Waldlehrpfad Üchtelhausen

Drei Waldmegaphone bieten im Üchtelhäuser Waldlehrpfad ein ganz besonderes Hörerlebnis. Die Schüler der angrenzenden Grundschule freuen sich schon darauf.
Drei Waldmegaphone bieten im Üchtelhäuser Waldlehrpfad ein ganz besonderes Hörerlebnis. Die Schüler der angrenzenden Grundschule freuen sich schon darauf.
© ALE Unterfranken
Ein Baummarder wohnt – na wo wohl – auf einem Baum. Das steht auf dem Üchtelhäuser Waldlehrpfad im Landkreis Schweinfurt aber nicht auf einem Infoschild mit vielen Bildern, sondern dafür bedarf es angestrengter Blicke in die Baumkronen rundherum. Denn dort sitzt ein Baummarder, ein hölzerner zwar, aber der macht die Suche nach den Marderwohnungen spannend. Die Einladungen dazu sind kleine Tafeln an den Bäumen, die fragen: „Wer wohnt denn da?“. Wer sie aufklappt, ist aufgefordert, neun verschiedene Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu finden. Das ist der Impuls, den Lia Stefke vorgibt, und damit lässt sie die kleinen und großen Besucher mit all ihren Sinnen eintauchen in die Wunderwelt des Waldes. Die Informationen sollten direkt ins Herz gehen, das ist ihr wichtiger, als wissenschaftliche Details aufzulisten.

Wahrnehmen und Entdecken
Ein Lehrpfad, wie ihn nicht jeder hat, sollte der krönende Schlusspunkt einer Waldneuordnung werden, das war die Idee, die Anfang 2018 in Üchtelhausen konkreter wurde. Denn auch die nächsten Generationen sollen „Appetit auf Wald bekommen“, sagt Johannes Krüger, Projektleiter des Waldflurbereinigungsverfahrens in Üchtelhausen. Die Lage direkt neben der örtlichen Grundschule und die enge Zusammenarbeit mit der Rektorin, dem Schul-Hausmeister, dem örtlichen Forstamt, den Bauhofmitarbeitern der Gemeinde und den engagierten Üchtelhäusern waren schon mal ideale Voraussetzungen dafür. Lia Stefke betrachtete die Aufgabe deshalb als eine Herausforderung an ihre Kreativität und Fantasie, die sie sehr gerne annahm. Denn Wissen auf Informationstafeln zu vermitteln ist ihre Sache nicht. Ihr Konzept ist es, Dinge selbst zu erfahren statt Vorgefertigtes zu konsumieren. Deshalb möchte sie vielmehr das Entdecken, Spielen und die Wahrnehmung durch die eigene Erfahrung fördern. So ein pädagogischer Ansatz muss aber erst einmal in attraktive Angebote übersetzt werden.

Wer wohnt in den Biotopen?
Selber suchen und erkennen ist die Vorgabe, dafür gibt es keine festen Stationen, sondern über das gesamte Waldlehrpfadgelände verteilte Biotope und Lebensräume, die es zu erkunden gilt. Biotopbäume zum Beispiel, also Bäume, die Höhlen für den Specht oder Spalten für Fledermäuse bergen. Steinhaufen, in denen sich mit Geduld Spinnen, Reptilien, Käfer und Wanzen entdecken lassen. Oder Totholzäste, die Kinderstuben für viele Kleintiere sind – all das gibt es ja schon im Wald. Neu dazu kamen Lebensräume, die dazu einladen, selbst zum Teil der Natur zu werden.

Waldhütten bauen
Die „Üchtelbehausungen“, zwei zeltartige Holzgerüste, sind so ein Angebot, das Kindern wieder Lust darauf macht, sich mit Hütten und Buden den Wald zu erobern. Denn die können je nach Fantasie und Geschick mit Ästen und allem, was man findet, zu eigenen Behausungen gemacht werden. „Das ist das Signal an die Kinder, dass sie ein Teil der Natur sind“, sagt Lia Stefke. Auch haben die Fantasiewesen der Kinder eine eigene Wohnung bekommen. In einen Baumstamm mit Dach und Fenstern, aufgestellt in einer verwunschenen Umgebung, die wie ein Hexenkreis anmutet, darf der Waldgeist oder sonstige Fabelwesen einziehen. Hier ist Raum für die Dinge, die nur Kinder verstehen, Raum, in dem sie sich ihre eigene Waldwelt erträumen können.

Baumvielfalt erfühlen
Dass man mit Bäumen auch spielen kann, dürfte nicht nur Kinder begeistern. „Wir haben zwölf verschiedene Baumarten auf vierzehn Hektar Wald, das sind ziemlich viele“, sagt Lia Stefke, und um diese Vielfalt zu erfahren, gibt es nun das „Baumpuzzle“. Drehbare Eichenholzwürfel, die mit den zusammenpassenden Symbolen für Blatt, Blüte, Frucht und Wuchsform den Namen des Baumes ergeben, laden zum Knobeln ein. Die Symbole sind aber nicht als Bild auf die Würfel aufgeklebt, sondern fühlbar in das Holz hinein gelasert. Das ermöglicht auch Menschen mit Handicap, die Strukturen zu erkennen. Im gesamten Wald gibt es dann auch immer wieder kleine Tafeln an den entsprechenden Bäumen, an denen man die erfühlten Bäume wiedererkennen kann. Besonders spannend wird die Erkenntnis, dass sich der gleiche Baum in verschiedenen Altersstufen ganz unterschiedlich präsentiert.

Kompetenzen aus dem Dorf
Das Dorf selbst wurde Teil des gesamten Waldbiotops, denn viele Beteiligten haben ihre Kompetenzen eingebracht. So zeigt eine zweihundertjährige Eichenscheibe aus dem Üchtelhäuser Wald, was in dieser Zeit im Ort passiert ist. Dafür hat der örtliche Historiker die Daten geliefert und ein bewährtes Team aus engagierten Üchtelhäusern die Umsetzung besorgt. Die „Rentnertruppe“, wie Lia Stefke sie liebevoll und mit größter Achtung nennt, hat unschätzbare Dienste für den gesamten Lehrpfad geleistet. Allen voran Roland Schmitt und Hubert Vollert, die mit viel Können, Herzblut und technischem Geschick das heimische Holz in Bänke, Schilder, „Üchtelbehausungen“ und Baumgeisterwohnungen verwandelt haben.

Hörgenuss mit Waldkino
Ein Element kam allerdings aus dem Baltikum in den Üchtelhäuser Wald. Das Waldmegaphon, das von Studenten der estnischen Kunstakademie entwickelt wurde, ist bislang einmalig in ganz Deutschland. Drei davon liegen jetzt im Wald verteilt und sind wie gemacht für Lia Stefkes Konzept der sensitiven Walderfahrung. „Man muss sich reinsetzen, ruhig werden und runterkommen“, sagt sie, „dann erst nimmt man wahr, welche Geräusche der Wald für einen hat“. Wer sich darauf einlässt, wird belohnt mit einem besonderen Genuss, der im besten Fall ein Waldkino im Kopf auslöst. Eins werden mit dem Wald, das kann eine beglückende Erfahrung sein und die Sinne für neue Erfahrungen öffnen. So bleiben plötzlich ganz andere Dinge im Gedächtnis. Zum Beispiel, dass Mauersegler so schnell fliegen wie ein Auto durch den Ort fährt.

Hintergrundinfo:
In einer für so ein Verfahren sehr kurzen Zeitdauer von nur 4 ½ Jahren hat das Amt für Ländliche Entwicklung Unterfranken die Waldneuordnung in Üchtelhausen bewerkstelligt. Dabei mussten 1140 Flurstücke neugeordnet, 54 Körperschaften und 3 Anteilsgemeinschaften einvernehmlich aufgelöst werden. Mit jetzt 254 Flurstücken in einer guten bewirtschaftbaren Größe und Form stellt sich der Wald nun als „enkeltauglich“ dar. Um auch den nächsten Generationen „Appetit auf den Wald“ zu machen, entstand die Idee des Waldlehrpfades.

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